Nürnberger Erklärung des Freiburger Kreises

Positionsbestimmung der F.D.P.

16.Juni 2000

Die F.D.P. hat eine zweite Chance bekommen.

Ihre erste Chance nach mehreren schlechten Wahlergebnissen seit 1995 bei den Landtagswahlen in NRW, Bremen und Berlin hatte sie nach den von Walter Döring und Rainer Brüderle in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewonnenen Landtagswahlen im März 1996, deren Ergebnisse durch die damaligen Streitereien in der nordrhein-westfälischen rot/grünen Landesregierung begünstigt wurden. Sie wurde nicht genutzt.

17 Europa-, Bundes- und Landtagswahlen gingen seit März 1996 verloren. Sie gingen verloren mit dem verengten Profil der F.D.P als Steuersenkungspartei, also der Verengung innerhalb der Wirtschaftspolitik nur auf Steuersenkung, mit der nach wie vor großen Nähe zur CDU/CSU, mit dem strikten Verhaftetsein im bürgerlichen Lager, mit der sogenannten neuen F.D.P. als angebliche radikale Protestpartei. und mit der Ausgrenzung bzw. dem an den Randdrängen derjenigen F.D.P.Mitglieder, die inhaltliche Kritik anmerkten. Sie gingen auch verloren, weil die zu kurz greifenden Wahlanalysen nicht die Wählerverluste der F.D.P. an die Nichtwähler ausreichend berücksichtigten, die sich teilweise auf bis ein Drittel beliefen. Ein resigniertes Wählerpotential, das in jedem Fall mit seiner Zweitstimme für eine ganzheitliche liberale Partei zu gewinnen gewesen wäre und seine Stimme nicht einer zum Anhängsel der CDU/CSU verkümmerten F.D.P.geben wollte. Diese Analyse hätte schon viel früher zur Aufhebung der Verengung führen müssen. Die Organisations- und Kampagneschwäche der F.D.P. kommt hinzu.

Die zweite Chance ist der F.D.P. mit den Wahlsiegen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gegeben worden. Ergebnissen, die vorwiegend auf die Spitzenkandidaten Wolfgang Kubicki und Jürgen Möllemann zurückzuführen sind und darauf, daß die F.D.P. sich als Programmpartei mit breitem inhaltlichem Spektrum - u.a. Bildung, Verkehr, innere Sicherheit und Freiheitsrechte - und je nach Konstellation mit einer Koalitionsaussage präsentierte, die sich an den Inhalten orientierte. Die F.D.P. überzeugte mit einem Wahlkampf, der auf die Spitzenkandidaten zugeschnitten war und mit einer klaren strategisch richtigen Entscheidung in NRW, den Wettbewerb um den dritten Platz mit den Grünen zum Wahlkampfinhalt zu machen.

Diese zweite Chance muß jetzt von der Bundespartei genutzt werden. Ziel muß es sein, den einseitig ausgerichteten Kurs zu korrigieren. Ausbruch aus dem bürgerlichen Lager, Öffnung zu beiden Volksparteien sind nicht der Anfang von Koalitionsdebatten, sondern müssen der Anfang einer strategischen und erst recht einer programmatischen Debatte sein mit dem Ziel, daß der F.D.P. die Optionen zu den beiden Volksparteien auch inhaltlich zugerechnet werden. Der Freiburger Kreis hat immer die Verengung und das Lagerdenken bekämpft und sich für eine soziale Marktwirtschaft in vollen Wortsinn eingesetzt.

Mehr denn je darf sich die F.D.P. nicht als einseitige Interessenvertreter nur einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verstehen. Im Vordergrund stehen immer ihre liberalen Ziele. Deshalb ist die F.D.P. weder eine Mittelstandspartei noch eine Zahnarztpartei, weder eine Partei der Eliten noch der Singles, weder eine Partei der Autofahrer noch der Automobilindustrie, usw.

Die F.D.P. ist der Anwalt aller Menschen, die ihr Leben in Freiheit und Verantwortung selbst gestalten wollen und die vom Staat die richtigen Rahmenbedingungen verlangen für Chancengleichheit und Selbstbestimmung. Deshalb sind Reformen der sozialen Sicherungssysteme, des Steuerrechts und die Sanierung der Staatshaushalte dringend notwendig. Die F.D.P. ist der Anwalt der Menschen, die den Markt als Instrument und nicht als Wert ansich begreifen und die den Menschen, die an der gesellschaftlichen Entwicklung nicht teilhaben können, Unterstützung und Hilfe geben. Nicht als Almosen, sondern als eine Verpflichtung aller im staatlichen Gemeinwesen.Eine rationale Sozialpolitik, die sich den Werten der Solidarität und Menschenwürde verpflichtet fühlt, ist Kernvorstellung des politischen Liberalismus. Oder anders ausgedrückt: Arme, sozial Schwache, Behinderte, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, sind keine Sozialschmarotzer, sondern machen berechtigte Ansprüche geltend, die auch bei dem notwendigen Umbau der Systeme gewahrt bleiben müssen.

Das geht nur mit überzeugenden Konzepten und Lösungsvorschlägen zu den aktuellen Problemen und mit Visionen zur Lösung langfristiger Probleme. Die F.D.P. muß auf ihrem Parteitag einen Anfang machen. Dies wird hoffentlich mit dem Beginn der Debatte zur neuen liberalen Sozialpolitik, zur liberalen Rechtspolitik und zur Stärkung unserer Demokratie der Fall sein. Gemessen wird die F.D.P. daran werden, ob sie die notwendigen Gesetzentwürfe zur Umsetzung von mehr Demokratie wie z.B. der Einführung plebiszitärer Elemente auch in den Bundestag einbringt.

Die Fragen des 21. Jahrhunderts liegen auf dem Tisch. Sie warten auf ein liberale Antworten.

Beherrschend wird die Frage sein, ob sich die Politik der grenzenlosen Globalisierung nachordnet oder aber die Globalisierung unter politische Rahmenbedingungen gestellt wird. Der Dualismus von Politik und Wirtschaft wird sich im beginnende Jahrhundert zuspitzen.

Liberale müssen auf dem Primat der Politik bestehen. Der Staat muß für alle Bürger Sorge tragen. Die Wettbewerbswirtschaft wird aus eigenem Antrieb weder für die Alten noch für die Kinder noch für die Kranken oder Lernbehinderten sorgen.

Aber besonders der Bürger braucht den Primat der Politik. Denn nur im Staat, nicht aber in der Wirtschaft kann Demokratie gelebt werden, also die gleichgewichtige Mitsprache aller. Die F.D.P. muß sich für eine Stärkung des demokratischen Bewußtseins einsetzen, aber genauso für die Stärkung der Stellung des Bürgers. Die Demokratie ist nur dann die beste Gesellschaftsform, wenn sie gegen die Despotie" der Mehrheit den Schutz der Minderheit durch die Grundrechte garantiert. Für diese liberale Demokratie kämpft nur die F.D.P.. Die CDU/CSU orientiert ihre Politik ausschließlich am Machterhalt. Mehr Demokratie wagen heißt für die CDU/CSU, lästige Minderheiten beiseite zu schieben. Dies Grundrechtsverständnis hat sie in der Kritik am Kruzifix-Urteil offenbart. Auch die Sozialdemokraten offenbaren Schwächen im Umgang mit den Grundrechten. Die Einwanderungs- und Asyldebatte gibt davon bestes Zeugnis.

Es gilt heute mehr denn je:
Dieses Land braucht eine liberale F.D.P., die weder ihre Traditionen leugnet noch wichtige Politikfelder ausblendet.