Für eine Erneuerung liberaler Politik

Freiburger Kreis

Berlin, 14. November 1999
 

Die F.D.P. erscheint substanz- und kompetenzlos. Das bescheinigen ihr Medien, Wahl- und Parteienforscher - und nicht zuletzt die Wähler. Weder auf dem von ihr in Anspruch genommenen Gebiet der Wirtschaftspolitik, noch im gesellschaftspolitischen Bereich wird der F.D.P. in Umfragen aller Meinungsforschungsinstitute eine überzeugende Fachkompetenz zugesprochen. Nach der Serie von Wahlniederlagen steht die F.D.P in einem etablierten Fünfparteiensystem an 5. Stelle und liegt in den letzten Meinungsumfragen stets unter 5%.

In dieser existenzbedrohenden Situation muß die F.D.P. inhaltliches Profil zurückgewinnen und dieses seriös und glaubwürdig durch Personen vertreten. Sie muß wegkommen von der allein auf Events und Aktionen angelegten Tagespolitik. Nur so wird sie wieder zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft. Aber dazu braucht sie auch wieder eine interne Streitkultur.

Die F.D.P. steht im Wettbewerb mit allen anderen Parteien um die Gunst der Bürgerinnen und Bürger. Aber im Gegensatz zu den anderen Parteien muß sie durch ganzheitliche liberale Positionen und Vorstellungen überzeugen. Denn punktuell liberal ist auch die CDU, wenn es um Steuersenkung und Entbürokratisierung geht. Punktuell liberal ist auch die SPD, wenn sie das verkrustete Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht aufbrechen will. Punktuell liberal sind auch die Grünen, wenn es um den Schutz von Minderheiten geht. Im Gegensatz dazu hat die F.D.P. nur dann eine Chance, wenn sie statt dessen ganzheitliche liberale Politik der Freiheit und Verantwortung in allen Lebensbereichen aus tiefster Überzeugung und kämpferisch vertritt.

Für eine Partei des Nischen-Liberalismus gibt es keinen Platz.

Die F.D.P. ist dem aufgeklärten politischen Liberalismus verpflichtet. Sie ist keine Protestpartei, sondern sie tritt für konsequente Erneuerung ein. Sie ist keine Bewegung für radikale Erneuerer und auch kein verlängerter Arm irgendeiner Lobby, sondern sie tritt konsequent für den einzelnen ein. Sie gehört auch nicht zu einem Lager.
 

 

Daraus folgt:

  • 1. Die F.D.P. muß die Freiheit des einzelnen gegen jede Art von Bedrohung verteidigen: z.B. seitens des Staates, durch wirtschaftliche Konzentration, wissenschaftliche und technische Entwicklungen sowie Intoleranz und Gewalt.

    2. Die F.D.P. ist die Partei der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft und muß es bleiben. Markt ist für Liberale kein Selbstzweck, sondern Instrument zur Gestaltung einer als sozial empfundenen Gesellschaft und einer ressourcenschonenden, nachhaltigen Wirtschaft. Sozial heißt für die F.D.P. eben nicht Gleichheit und Umverteilung, sondern Teilhabe an der Entwicklung in unserer Gesellschaft auch für diejenigen, die dies aus eigener Kraft nicht können. Sozialpolitik ist nicht lästiges Anhängsel, sondern gleichgewichtiges Thema liberaler Politik und ergibt sich unmittelbar aus einer freiheitlichen Weltanschauung. Das Prinzip der Nachhaltigkeit (sich fortlaufend selbst regenerierende Systeme), gilt hier genau so wie in allen anderen politischen Bereichen.

    3. Globalisierung und Internationalisierung wirken sich auf alle Lebensbereiche der Menschen aus. Die Welt rückt näher zusammen und wird gleichzeitig für den einzelnen immer weniger überschaubar. Globalisierung heißt für Liberale nicht das Aufgeben des Primats der Politik, sondern ihr Gestaltungsanspruch auf allen Ebenen - zunehmend stärker auf den Ebenen Europas und der internationalen Staatengemeinschaft - zum Beispiel durch die institutionalisierte Harmonisierung der europäischen und internationalen Wettbewerbsbedingungen, durch die Verhütung von Oligopolen und Monopolen sowie durch die längst überfällige Umsetzung der Europäischen Datenschutzlinie.

    4. Parallel zum Prozeß der wirtschaftlichen Globalisierung ist es gerade Aufgabe der Liberalen, die Diskussion über die ethische Dimension dieses Prozesses anzustoßen, denn die Menschenwürde des einzelnen und sein Selbstbestimmungsrecht sind durch die globalen Entwicklungen gefährdet. Liberale Politik muß anstreben, den "shareholder value" so weit wie möglich mit dem "human value" in Einklang zu bringen.

    5. Liberale Aufgabe ist und bleibt es, für die Bürgerrechte einzutreten, mögen sie ausreichend kodifiziert sein oder nicht.

    Dabei gilt immer: der Staat hat nicht nur die Möglichkeit, Freiheit einzuschränken. Er ist gleichzeitig auch Garant demokratischer Grundrechte. Die Möglichkeit des Bürgers, an politischen Entscheidungen teilzunehmen, muß deutlich ausgeweitet werden, z.B. durch die Aufnahme von Elementen der direkten Demokratie in das Bundesrecht verbunden mit verbesserten Informationsrechten.

    In jedem Staat wird Macht ausgeübt. Und Macht ist nie vor der Versuchung geschützt, mißbraucht zu werden: Die seit Jahren übermäßige Zunahme der Telefonüberwachungen z.B. erfordert sowohl strengere Vorgaben für die Genehmigung als auch einen verbesserten Rechtsschutz des Bürgers. Daß Liberale für die Verteidigung von Bürgerrechten eintreten müssen, zeigen z.B. die von Teilen der Politik geforderte Videoüberwachung von Schulhöfen und öffentlichen Plätzen sowie die ebenfalls angestrebte Ausweitung der Schleierfahndung.

    6. Das von Bundesinnenminister Schily zur Disposition gestellte Asylrecht wird in Deutschland zu einer erneuten Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen führen. Liberale dürfen nicht zulassen, daß der Schutz vor politischer Verfolgung in das Ermessen des Staates gestellt wird. Sie müssen das Recht auf Asyl gleichermaßen gegen Konservative wie gegen Sozialdemokraten verteidigen.

    7. Die F.D.P. fordert eine europäische Grundrechtscharta als unverzichtbares Element einer europäischen Verfassung, die den Schutz der Bürgerrechte auf die internationale Ebene transferiert.
     
     

  • Der Freiburger Kreis fordert,

  • endlich auf allen Ebenen und in allen Gremien der Partei eine Diskussion über die inhaltliche Ausrichtung der F.D.P. zu führen.
     
  • Aus dem Teilnehmerkreis:

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Berlin/Feldafing; Dr. Burkhard Hirsch, Berlin/Düsseldorf; Gerhart R. Baum, Köln; Carola von Braun, Berlin; Dieter Oligmüller, Bochum; Dr. Michaela Blunk, Lübeck; Rudolf Fischer, Buxtehude; Gisela Geckler, Ottersweier; Lieselotte Liermann, Dresden; Ingo Liermann, Dresden; Erwin Loßmann, Berlin; Wolfgang Lüder, Berlin; Neithart Neitzel, Berlin; Ingeborg Petersson, Osnabrück; Karl-Heinz Petersson, Osnabrück; Martin Scheibert, Oldenburg; Reinhart Soltau, Hamburg; Claus Thiessen, Weßling; Thomas von Saenger, Hamburg; Thomas Franzkewitsch, Hannover; Matthias Kussin, Frankfurt/Oder; Fabian Scheffszyk, Frankfurt/Oder; Hubert Locher, Stuttgart; Walter Thomann, Wuppertal; Robert Kirchner-Ness, Mainz und weitere Teilnehmer.