SPIEGEL ONLINE - 20. Juli 2004, 10:32
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Interview mit Burkhard Hirsch
 
"Der Kampf um den Lauschangriff hat gerade erst begonnen"

Nach massivem Ärger musste Justizministerin Zypries ihren ersten Entwurf für den Großen Lauschangriff wieder zurückziehen. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview fordert der FDP-Politiker Burkhard Hirsch weitere Änderungen an dem Gesetz, wirft Otto Schily bei der Sicherheitspolitik Panikmache vor und kritisiert die eigene Partei.

SPIEGEL ONLINE: Seit Jahren beschäftigen Sie sich mit der Inneren Sicherheit, waren selber Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Seitdem kämpfen Sie für die Freiheit der Bürger. Wie sicher fühlen Sie sich persönlich im Juli 2004?

DPA
Burkhard Hirsch, geboren 1930 in Magdeburg, gilt als Ur-Liberaler in der FDP. Über den Umweg Wirtschaft, wo der gelernte Jurist und Rechtsanwalt unter anderem Direktor bei der Mannesmann AG in Düsseldorf war, kam er zur Politik. 1975 wurde er Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Landtag 1980 war er bis 1998 Bundestagsabgeordneter, in seiner letzten Legislaturperiode Bundestagsvizepräsident. In der FDP ist Hirsch noch immer als Beisitzer im Bundesvorstand tätig und Mitglied im "Freiburger Kreis". In den Schlagzeilen blieb der 74-jährige, weil er im Auftrag der rot-grünen Regierung das Verschwinden von Akten im Kanzleramt während der Kohl-Regierung untersuchte. Außerdem klagte er gemeinsam mit seinen Partei-Kollegen Gerhard Baum und mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das bestehende Gesetz zum Großen Lauschangriff.
Burkhard Hirsch: Ziemlich sicher. Ich sehe auch gar keinen Grund, warum das nicht so sein sollte. Niemand kann mir erzählen, dass wir uns fürchten müssen. Wir haben eine gute Polizei, die weit besser ist, als viele glauben. Absolute Sicherheit gibt es in einer freien Gesellschaft niemals. Doch bei unseren Kriminalitätszahlen ist für Panikmache kein Platz.

SPIEGEL ONLINE: Wenn man Bundesinnenminister Schily oder seinen bayrischen Kollegen Günther Beckstein hört, hat man den Eindruck, dass die Gefahr sehr groß ist und dass wir fast im Kriegszustand leben.

Hirsch: Die beiden Minister überbieten sich gegenseitig. Das erfüllt mich mit Unbehagen. Sie verhalten sich wie Filmregisseure. Wenn sie 'Action' rufen, sollen Gesetze folgen und sie spielen das Stück "Handlungsfähigkeit". Das hat es immer wieder gegeben. In den Achtzigern wollten uns die Innenpolitiker vorgaukeln, die Organisierte Kriminalität bedrohe unser Land wie ein Krake. Man sah sich die OK-Täter fast bildlich auf den Bänken im Bonner Hofgarten räkeln. Nun versuchen sie das gleiche mit dem Islamismus.

SPIEGEL ONLINE: Also alles nur Show für eine Machtausweitung der Polizei und Justiz?

Hirsch: So plakativ kann man das nicht sagen. Natürlich sind islamische Religionsfanatiker eine Gefahr. Aber wir sollten auf dem Boden bleiben. Man muss die konkrete Arbeit der Behörden überprüfen und verbessern. Die bestehenden Gesetze reichen letztlich wirklich aus - wenn sie konsequent angewendet werden. Statt ständig neue Kompetenzen zu fordern und immer weitere Überwachungsmethoden zu erfinden, sollte der internationale Austausch von Daten zu gefährlichen Personen verbessert werden.

SPIEGEL ONLINE: Die Zusammenarbeit der diversen Behörden ist auch ein Schily-Thema. Im Innenministerium gibt es Pläne, das Grundgesetz für eine bessere Kooperation der Polizei mit den Geheimdiensten zu ändern.

Hirsch: Dieser Plan wird hoffentlich niemals eine Mehrheit finden. Wenn doch, kommen wir wirklich in eine gefährliche Schieflage, denn die Dienste und die Polizei müssen getrennt bleiben. Wenn wir Polizei und politische Beobachtung vermischen - und dafür gibt es leider schon Ansätze - landen wir in einem reaktionären Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts. Statt solche Ideen zu produzieren, würde ich gern erstmal eine Evaluierung der bereits geänderten Paragraphen sehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie meinen die Anti-Terror-Pakete I und II.

Lauschangriff in der Praxis: Wunderwaffe gegen die OK?
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Lauschangriff in der Praxis: Wunderwaffe gegen die OK?
Hirsch: Ja, auch. Alle Gesetze dieser Pakete schreiben eine Überprüfung Ende 2004 vor. Ich bin gespannt, wie die aussieht. Wenn das Ergebnis so aussieht wie bei der Rasterfahndung, müssten viele Gesetze wohl auf den Prüfstand. Hunderttausende Datensätze wurden durchkämt, doch es ist nur ein - mittlerweile eingestelltes - Ermittlungsverfahren herausgekommen. Ich frage mich, warum über Umfang, Ergebnis und Kosten des Verfahrens jegliche Auskunft verweigert wird - auch gegenüber dem Parlament.

SPIEGEL ONLINE: International liegt der Innenminister voll im Trend. Rund um den Globus verschärfen die Länder ihre Gesetze, weil sie sich fürchten. Auch in Deutschland gibt es aktive Islamisten. Verschließen Sie davor die Augen?

Hirsch: Wenn wir alles mitgemacht hätten, was die anderen oder gar die USA taten, wäre Deutschland wohl schon heute ein Land, in dem niemand von uns wirklich leben wollte. Außerdem muss man auch die Nuancen sehen. Beispiel England. Mich hat der englische Innenminister sehr beeindruckt, der empört auf die Frage nach einem Meldegesetz für die Insel reagierte. Er lasse sich nicht von Terroristen bestimmen, was England brauche. Auch wenn diese Regel für Ausländer in England keinesfalls gilt, stimmt die Grundrichtung. Reagiert man mit einer immer unfreiheitlicheren Gesellschaft auf den Terror, hat Osama Bin Laden seinen Krieg gewonnen.

SPIEGEL ONLINE: Lässt sich der Innenminister nicht weniger durch Bin Laden und Co., vielmehr aber durch die innenpolitischen Forderungen der Opposition treiben, um in Sachen Sicherheit nicht zweiter Sieger zu werden?

Hirsch: Als Anwalt und Parlamentarier war Otto Schily eindrucksvoll. Von einem Freiheitsliebhaber hat er sich in einer Ministerrolle zu einem Forderer immer weiterer hoheitlicher Ermächtigungen entwickelt. Er denkt nur an den starken Staat. Aber ein Staat, der die Freiheit seiner Bürger immer mehr einschränkt, ist in Wirklichkeit schwach. Er verramscht die Freiheit, die eigentliche Quelle seiner Kraft, aus Angst - nicht nur vor den Terroristen, auch vor den nächsten Wahlen.

Kläger-Trio Baum, Hirsch, Leutheusser-Schnarrenberger: Menschenwürde als Argument gegen den starken Staat
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Kläger-Trio Baum, Hirsch, Leutheusser-Schnarrenberger: Menschenwürde als Argument gegen den starken Staat
SPIEGEL ONLINE: Die Hardliner haben dafür ein gutes Gegenargument: Wer nichts Ungesetzliches tut, hat auch nichts zu befürchten.

Hirsch: Eine solche Aussage ist politische Zechprellerei. Dem Bürger wird vermittelt, dass es immer die anderen sind, deren Freiheit eingeschränkt wird. Wer das glaubt, muss sehr naiv sein. Wie soll denn eine individuelle Freiheit ohne eine gesellschaftliche Freiheit existieren?

SPIEGEL ONLINE: Vorvergangene Woche wurde bekannt, dass Justizministerin Brigitte Zypries einen Gesetzentwurf für den Großen Lauschangriff heimlich erarbeitet und bereits den Fraktionen vorgelegt hat. Dieser ging weit über den vom Verfassungsgericht gegeißelten Text hinaus. Was haben Sie als erfolgreicher Kläger in Karlsruhe gedacht, als sie von dem Geheimkommando gehört haben?

Hirsch: Zuerst habe ich mich gefreut, dass so schnell ein Entwurf vorliegt. Die Umsetzung des Urteils ist ja nicht leicht. Beim ersten Lesen allerdings traute ich meinen Augen kaum. Der Entwurf hat den Sinn des Urteils nicht begriffen und geht teilweise weiter, als das vom Gericht für verfassungswidrig erklärte Gesetz.

SPIEGEL ONLINE: Das wurde dann ja auch öffentlich thematisiert. Recht schnell nahm die Ministerin daraufhin die Erweiterung auf die so genannten Geheimnisträger wie Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten zurück. Ist damit der Weg frei?

Hirsch: Keineswegs. Da hat das Parlament noch viel Arbeit vor sich - wenn es überhaupt am Lauschangriff festhalten will.

SPIEGEL ONLINE: Worum geht es?

Hirsch: Das geht schon bei der Definition los, was überhaupt abgehört werden darf. Das neue Gesetz will die Aufnahme von Selbstgesprächen, unter Umständen auch von Gesprächen mit dem Verteidiger oder dem Arzt erlauben, und es bleibt unklar, wann Gespräche mit dem engsten Verwandten belauscht werden dürfen. Der Entwurf sieht auch nicht vor, dass das Lausch-Band grundsätzlich zuerst dem Gericht vorgelegt werden muss. Auch die Information des Bundestages ist völlig lückenhaft, die Regelung der Rechtsmittel mehrdeutig - um nur einige Punkte zu nennen.

Hirsch beim Spenden-Untersuchungsausschuss: Als Sonderermittler in der Kritik
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Hirsch beim Spenden-Untersuchungsausschuss: Als Sonderermittler in der Kritik
SPIEGEL ONLINE: Der Kampf um das Gesetz ist also noch nicht zu Ende.

Hirsch: Er hat gerade erst begonnen. Das Justizministerium wird allein mit einer Verbesserung bei den Berufsgeheimnisgruppen nicht durchkommen - auch wenn Frau Zypries sicherlich dachte, damit ist die Kuh vom Eis. Bleibt der Gesetzentwurf wie er ist, wird er wieder in Karlsruhe enden.

SPIEGEL ONLINE: So liberal Ihr Ansatz auch ist, so vehement fordern die Praktiker und die Berufsverbände der Polizei eine Ausweitung der Befugnisse beim Lauschangriff. Außerdem hat die Bundesregierung doch auch Erfolgszahlen vorgelegt.

Hirsch: Die Zahlen sind in Wirklichkeit dürftig. Mehr als 90 Prozent der Belauschten waren Nicht-Beschuldigte. Nur in zwei Prozent der Fälle von Organisierter Kriminalität konnten Wanzen eingesetzt werden, über die Hälfte der Lauschangriffe blieben ohne jedes Ergebnis. Da kann man wohl nicht ernsthaft sagen, dass der Lauschangriff eine Abschreckungswirkung auf die Täter haben kann oder überhaupt ein Erfolg war.

SPIEGEL ONLINE: Aus ihrer eigenen Partei hört man solch deutliche Worte selten. Die liberale Stimme, mal abgesehen von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ist reichlich still geworden.

Hirsch: Die FDP hat gegen eine ganze Reihe rechtsstaatlich zweifelhafter Entscheidungen protestiert. Ich wünschte mir allerdings, dass sie das viel massiver macht. Die Liberalen müssen wieder die Partei der freiheitlichen Politik werden, dann wird sie damit auch mehr Anerkennung finden. Es ist im Übrigen für alle Parteien ein Problem, dass viele Menschen in erster Linie an wirtschaftliche Probleme denken und sich die Folgen einer Überwachung erst vorstellen, wenn es sie selber trifft.

SPIEGEL-Titel zum Lauschangriff: Reizthema seit Jahren
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SPIEGEL-Titel zum Lauschangriff: Reizthema seit Jahren
SPIEGEL ONLINE: Eine Haltung, die man auch Ihrem Parteichef Guido Westerwelle nachsagt.

Hirsch: Er ist in derselben Lage wie alle anderen auch. Aber wenn die Freiheit oder die innere Liberalität in Gefahr sind, dann müssen die Liberalen kämpfen - egal ob das Wählerstimmen bringt oder nicht. Ein guter Vorsitzender kann sich nicht nur von aktuellen Trends leiten lassen. Darum geht meine Mahnung auch ganz klar an ihn: Die FDP muss in Sachen Freiheit deutlicher und lauter werden.

SPIEGEL ONLINE: In der rot-grünen Koalition haben sich die Grünen zumindest als Korrektiv Schilys etabliert und dabei viele Kämpfe mit noch mehr schmerzlichen Wunden gefochten. Wie lange halten sie das noch durch?

Hirsch: Das weiß ich nicht. Allerdings besorgt mich mehr die große Koalition aus Sozialdemokraten und CDU, die sich in Fragen der Sicherheit gegenseitig überbieten. Gegen eine unheilige Allianz von Schily und Beckstein werden die Grünen immer weniger ausrichten können.

SPIEGEL ONLINE: Bei einer nach augenblicklicher Lage sehr wahrscheinlichen schwarz-gelben Regierung im Jahr 2006 wäre Günther Beckstein von der CSU wohl der Innenminister. Die liberalen Stimmen dürften unter ihm Probleme bekommen.

Hirsch: Wir müssen schon vor der Wahl klare Positionen einnehmen. Das Papier, das Westerwelle beim letzten Parteitag vorgelegt hat, reicht dafür nicht aus. Es muss in Sachen Innen- und Rechtspolitik wesentlich ausgebaut werden. Dafür gibt es Vorarbeiten. Allerdings ist es schade, dass der nächste Bundesparteitag so kurz vor die NRW-Wahlen gelegt wurde. Dort zeigt die Parteiführung dem Wähler gern die Schokoladenseite der FDP und bremst echte Diskussionen aus. Für die politische Kultur ist es schon traurig, wenn am Ende auf Kirchentagen politischer diskutiert wird als bei dem Konvent einer Partei.

Sicherheitspolitiker Schily und Beckstein: "Unheilige Allianz"
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Sicherheitspolitiker Schily und Beckstein: "Unheilige Allianz"
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem noch mal zurück zu einer möglichen schwarz-gelben Regierung...

Hirsch: Bei einer Beteiligung der FDP wäre ein liberaler Innenminister natürlich enorm wichtig. Das Land ist mit Genscher, Maihofer, Baum und meinem unmittelbaren Vorgänger Willy Weyer gut gefahren. Wir jedenfalls haben bei den schwierigsten Zeiten der RAF nicht daran gedacht, die Verfassung zu ändern.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich Beckstein als Innenminister vorstellen?

Hirsch: Ich erinnere mich noch gut an den Innenminister Friedrich Zimmermann. Das reicht mir eigentlich.

Das Interview führte Matthias Gebauer
 

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