Eine FDP für das ganze Volk

Von Jürgen W. Möllemann

Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung – Ausgabe: 3. Juli 2000

Bei der Bundestagswahl 2002 wird mehr entschieden als ihr Ausgang: Wer in der neuen Parteienstruktur von 2002 an in welcher "Klasse" antritt. Die Grünen haben diese Frage für sich entschieden. Ihre "Vision" und ihr Mut reicht nur für die zweite Bundesliga: CDU und SPD sind ihnen als Gegner zu groß. In der sogenannten dritten Kraft endet ihre Phantasie. Dabei sein um jeden Preis, auf dieses Kümmer-Dasein ist geschrumpft, was als Alternative zu den etablierten Parteien angetreten war. Die Grünen sehen alt aus.

Will die FDP nicht so alt aussehen wie die Grünen, muss sie nach den Siegen von Kiel und Düsseldorf das Projekt 18 verwirklichen. Weil sie sich sonst wieder bei 1,8% wie 1999 findet. 18% bei der Bundestagswahl 2002 sind nicht weniger möglich als 9,8% bei der NRW-Landtagswahl 2000: Aber natürlich nur mit einem ebenso zugespitzten Programm, einer ebenso glasklaren Strategie, einer ebenso kreativen Kampagne und einem ebenso professionellen Management. Und nicht zuletzt: Mit einem Wählermagneten als Kanzlerkandidat der FDP.

Die Strategie des Projekts 18 kann nur heißen: Die FDP tritt an um den Einzug in die erste Bundesliga, in die Liga der Volksparteien. In die erste Liga zieht die FDP nur ein, wenn sie selbst Volkspartei wird.

Bürgerpartei sei der bessere Name, lautet ein Einwand. Jede(r) weiß, was eine Volkspartei ist: Erstens eine Partei für das (ganze) Volk, zweitens einflussreich und groß. Was ist eine Bürgerpartei?

Dann gibt es Leute, die sagen, eine FDP, die 20% oder mehr hätte, wäre keine liberale Partei mehr. War die LDP vor der Gleichschaltung keine liberale Partei? Agierte die FDP seit Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Nachfolgern – schon durch die Wahl von Ressorts wie Außen, Innen, (Land)Wirtschaft - je anders als eine Volkspartei? Agiert die FDP im Bundestag nicht wie eine Volkspartei? Mit eigenen Positionen zu allen Fragen – statt zu Nischen-Themen? Ist es da nicht Zeit, auch Ergebnis-Größen von Volksparteien anzustreben?

Ist das neue Grundsatz-Programm der FDP – die Wiesbadener Leitlinien – das Programm einer Nischenpartei? Nein, es bietet mehr inhaltliche Breite, Reichweite und Modernität als die von CDU und SPD. Sicher, der eine oder andere Teil blieb zu sehr in der Tagespolitik hängen. Das können und müssen wir vor 2002 ändern. Der letzte Parteitag hat da mit der Sozial-Politik einen guten Anfang gemacht.

Gerhard Schröder macht aus der alten SPD eine "liberale" Partei im amerikanischen Sinne – also eine, die dem Markt mehr Raum lässt, ohne der Umverteilung abzuschwören. Die CDU wird spät entscheiden, wie viel Platz das (wirklich) Konservative haben darf. Je nachdem wird sie ihre Umverteilungspolitik mehr "konservativ" oder mehr "christlich" begründen.

Für eine FDP, die erst zweitens oder drittens auf den Staat setzt und vorher die Optimisten in allen Volksschichten, ist viel Platz. Es sind die Jungen und die potenziellen Nichtwähler, die 18 Prozent FDP möglich machen. Wähler sind in Nordrhein-Westfalen auch von CDU und SPD zur FDP gekommen. Aber die große strategische Reserve sind die Jungen und jene, die jetzt oder schon lange nicht mehr wählen wollen. Die ersten erreichen wir im Internet, die zweiten in den alten Massenmedien: Mit einer Kampagnenstrategie, die unsere politischen Botschaften als Bilder inszeniert – in Wortbildern und Bildworten.

Das einzige, was zur Volkspartei und entsprechenden Wahlergebnissen fehlt, ist unser Mut, eine sein und entsprechende Wahlerfolge erzielen zu wollen. Andere Ratschläge von Experten und Journalisten, die dem CDU-SPD-Kartell anhängen, sind eine interessante Bestätigung der guten Aussichten des Projekts 18.

Wir haben nur das Kümmer-Dasein des Auch-ein-Bisschen-dabei-Seins zu verlieren - und alles zu gewinnen. Mein Aufruf zum Projekt 18 hat vor kurzem auf dem FDP-Bundesparteitag viel Zustimmung gefunden. Täglich melden sich parteilose Mitbürger, Mitglieder anderer Parteien, junge Leute, die 2002 zum ersten Mal zur Wahl gehen dürfen, FDP-Verbände und alle möglichen Initiativen für das Projekt 18. Das virtuelle Netzwerk, die Werkstatt 18, wächst. Ich werbe um Alle, die einen Beitrag leisten können. Um die Optimisten im Lande, um jene, die anpacken statt zu klagen: Außerhalb und innerhalb der FDP.