Jürgen Dittberner (Aus Politik und Zeitgeschichte B5/2000 vom 28. Januar 2000)

Die F.D.P. an der Schwelle zum neuen Jahrhundert

...

  1. Werdegang einer Funktionspartei
  2. ...

  3. Frei schwebendes Parteiprogramm
  4. ...

  5. Schwache Organisation
  6. ...

  7. Die bitteren Wahrheiten

Nach der Serie der Niederlagen bei den Herbstwahlen 1999 geben sich die Verantwortlichen der F.D.P. weiterhin Illusionen hin. So kokettiert die Partei damit, nicht bei ihr eingetragene Prominente an die Spitze von Wahllisten zu setzen. In Hamburg sollte die Rettung vom Modemacher Wolfgang Joop kommen. Doch ist fraglich, ob das Publikum sein zweifellos großes Bedürfnis nach Unterhaltung ausgerechnet bei einer politischen Partei befriedigen möchte. Im Übrigen müsste das Scheitern von Jost Stollmann bei der SPD der F.D.P. deutlich gemacht haben, dass "Paradiesvögel" sehr schnell von professionellen Raubtieren der Politik vertilgt werden.

Eine andere Vorstellung der F.D.P. ist, sie müsse nur eine gesellschaftliche Unterstützung aus dem Bürgertum organisieren, dann würde sie zumindest in den Stadtstaaten zum Erfolg kommen. Als die F.D.P. 1995 in Berlin nur 2,5 Prozent der Stimmen erreichte, hieß es, das habe an der verweigerten Unterstützung durch eine liberale Wählerinitiative gelegen. 1999 war eine solche Initiative aktiv, und das Ergebnis war schlechter als vier Jahre zuvor. Wenn die Mannschaft permanent schlecht spielt, nützt auch ein Fanclub nichts.

Eine weitere Fehlannahme besteht im Glauben, durch Autosuggestion dem Untergang entgehen zu können. Vor jeder Wahl verbreitet die F.D.P.-Führung Zweckoptimismus. Im Saarland, so versicherten F.D.P.-Politiker, hätten sie eine Chance, denn sie Würden als Mehrheitsbeschaffer für den Machtwechsel gebraucht. Die CDU dort schaffte die Ablösung der SPD aber ohne die F.D.P. Eine Lageanalyse der F.D.P. blieb aus, und zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein Anfang 2000 wurde nunmehr die These ausgegeben, jetzt werde man erfolgreich sein, denn in Deutschlands Norden sei die Partei im Landtag vertreten und das sei ein erheblicher strategischer Vorteil. Es schien vergessen zu sein, dass die F.D.P. bereits aus zwölf Landtagen - in denen sie überall einmal Fraktionen hatte - herausgewählt wurde.

Diese Beispiele zeigen, dass die F.D.P.-Führung selber die bitteren Wahrheiten über ihren Zustand nicht zur Kenntnis genommen hat. So konstatiert der Journalist Albert Schäffer: Die F.D.P. gleicht mehr und mehr einem Kranken, der in seiner Verzweiflung auf Wunderdoktoren hofft, nachdem die Schulmedizin keine Linderung gebracht hat. Wenn sie aber überhaupt Aussichten auf Linderung haben will, muss der erste Schritt der Therapie der Partei darin bestehen, dass sie die bitteren Wahrheiten über ihren Zustand zur Kenntnis nimmt und diese nicht weiter verdrängt. Die bitteren Wahrheiten der F.D.P. sind:

Die Auseinandersetzungen mit den bitteren Wahrheiten könnte dann zur Rettung führen, wenn anschließend Hilfe von auûen kommen Würde. Die Partei braucht Fortüne. Im Bund, in Nordrhein-Westfalen oder erneut in Baden-Württemberg müsste sie als Partner beim Regieren benötigt werden. Oder sie müsste sich vor dem Hintergrund der zu erwartenden Schwierigkeiten der CDU infolge der "Kiep-Kohl-Affäre" als bürgerliche Alternative zur Union profilieren. Aber auch unabhängig davon bleibt der Partei nichts anderes übrig, als an sich zu arbeiten. Sie könnte versuchen, liberale Antworten auf die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und nach Bürgerrechten in unserer globalisierten und deregulierungsträchtigen Zeit zu geben. Dabei genügt es nicht, auf das vorhandene Parteiprogramm zu verweisen. Vielmehr muss der Weg gefunden werden, die eigenen Konzepte dort vorzuleben, wo immer die F.D.P. noch agieren kann - vor allem auf kommunaler Ebene. Die Partei könnte sich im Osten Deutschlands neu organisieren und für dieses Gebiet eine eigenständige Politikplattform schaffen. Sie müsste sodann vor allem klären, mit wem sie sich in der Politik überhaupt verbünden will: Mit der SPD oder der Union, vielleicht auch mit den Grünen? Und welche Haltung will sie zur PDS einnehmen? Erst nach solcher Selbstfindung mag die Partei sich um Mannschaftsaufstellungen kümmern und einige derjenigen in den Vordergrund stellen, die jetzt in der zweiten Reihe auf ihre Chance warten. Bleibt die F.D.P. hingegen bei ihrem Immobilismus und redet sie sich weiter die Lage von Niederlage zu Niederlage schön, dann ist es wahrscheinlich, dass sie bei der Bundestagswahl 2002 absteigt und im Schatten der Macht verschwindet.

Gibt es denn in der Berliner Republik keinen Bedarf an liberalen Politikentwürfen? Sollte es da nicht eine Partei geben, die in die Diskussion über den Umbau des Sozialsystems liberale Positionen einbringt? Gerade angesichts der wachsenden Macht übernationaler Behörden müsste es doch einen verläßlichen Hüter der Bürgerrechte geben. Und wie sehr braucht unsere mediale Spaßgesellschaft Orte, an denen der rationale Diskurs über allgemeine Fragen des Zusammenlebens hoch im Kurs steht. Wenn es nicht die F.D.P. schafft, in diese Rollen zu schlüpfen, wird es andere Parteien geben, die diese Lücken füllen. Die F.D.P. müsste schon aus Eigeninteresse und in Verantwortung für das Gesamte bereit sein, mit diesen bitteren Wahrheiten offensiv umzugehen.

Als ein anderer Weg zur Rettung der Partei wird oft eine "Haiderisierung" empfohlen. Die Göttinger Politikwisssenschaftler Peter Lösche und Franz Walter halten das für eine ernsthafte Perspektive, denn "rechts ist viel Platz frei". Der Ruck nach rechts würde eine Tradition des deutschen Liberalismus aufnehmen, die keinesfalls im Rechtsradikalismus münden müsste. Aber, so die Autoren, die F.D.P., wie sie geworden ist, befinde sich mitten im Bürgertum und tauge nicht zum populistischen Opponieren. Auch sei ein "deutscher Haider" . . . nirgendwo zu erkennen Diese Einschätzung ist zutreffend, zumal nationalliberale Versuche in der Partei bisher stets gescheitert sind. Die Voraussetzungen wie in Österreich mit der Dominanz einer großen Koalition auf Dauer sind in Deutschland obendrein gar nicht gegeben.

So bleibt nur noch die Chance einer Koalitionspartei im Wartestand. Da ist allerdings einiges im Fluss, wie sich schon daraus ableiten lässt, dass Hans Vorländer noch Anfang 1999 meinte, feststellen zu Können, die strukturelle Mehrheitsposition der SPD sei in der Bundespolitik vorerst so gefestigt . . ., dass die Sozialdemokraten die F.D.P. als Koalitionspartei nicht benötigen. Es ist zwar vorstellbar, dass die SPD nach einem neuen Koalitionspartner sucht, bei der im Verlauf des Jahres 1999 aufgetretenen Schwäche der SPD ist es jedoch fraglich, ob von dort überhaupt noch Hilfe für die F.D.P. kommen könnte. Für diese ist dadurch die Lage zum Beginn des neuen Jahres noch ernster geworden, als sie es zu Beginn des Jahres 1999 war. Die F.D.P. ist in der Rolle eines Fußballclubs, der Spiele in Serie verloren hat, nun abstiegsgefährdet ist und den Abstieg nicht mehr aus eigener Kraft abwenden kann, sondern es nur dann schafft, wenn die anderen günstig für den Club spielen.